Hermann Kronenberg
Kronenberg nahm sich in seiner Malerei also die Freiheit, auf einen unverwechselbaren Malstil und auf einen wiedererkennbaren Motivkreis als „Position“ und „Alleinstellungsmerkmal“ zu verzichten. Ganz offensichtlich knüpft er in vielen seiner Bilder an die malerischen Idiome der Klassischen Moderne an. In seinen stark konturierten Figuren und den zum unteren Bildrand hin kippenden, sich ins Bodenlose öffnenden Bildräumen ist ganz oft der Bezug zu Max Beckmann zu spüren. Manche seiner Frauenfiguren zeigen den fedrigen, nervösen Duktus, wie man ihn von Ludwig Kirchner kennt. Gewisse Motive und Ornamentformen, aber auch bestimmte Farbkombinationen sind unschwer auf Henri Matisse zu beziehen. Viel weniger offensichtlich, aber für Kronenbergs Malerei ebenso unverzichtbar, ist die Auseinandersetzung mit Edgar Degas, ein Bezug, der sich nicht im Motivrepertoire seiner Gemälde niederschlägt, sondern vor allem in der Art der Hintergrundgestaltung. Insbesondere die Texturen von Degas’ Pastellen mit ihrer zarten, samtigen Haptik ist etwas, dem er mit den Oberflächen seiner Ölbilder nahezukommen versucht. Überschaut man die Gesamtheit von Kronenbergs Werk, dann lässt sich doch ein deutliches Ungleichgewicht in der Bezugnahme auf diese deutschen und französischen Vorbilder erkennen. Von Motivwahl und Stil her ist Kronenberg offensichtlich näher am Deutschen Expressionismus mit seiner Melancholie und existenziellen Problematik als bei der ornamentalen Leichtigkeit und mediterranen Lichtfülle eines Matisse.
Auf die Bemerkung eines Kritikers hin, dass manche Passagen seiner 1. Symphonie doch sehr merkwürdig nach Beethoven klängen, soll Johannes Brahms einst geantwortet haben: „Jawohl, und noch merkwürdiger ist, dass das jeder Esel gleich hört.“ Der gereizte Ton ist nachvollziehbar, denn selbstverständlich war der Anklang an Beethoven deutlich genug, man sollte ihn ja schließlich erkennen. Nicht dass es so klang wie Beethoven, war die Frage, sondern das Warum, die künstlerische Intention dieser offensichtlichen Bezugnahme. Auch wenn hier in keiner Weise Malerei mit Musik oder Hermann Kronenberg mit Johannes Brahms verglichen werden soll – das Problem ist ein ähnliches. Ein allzu voreiliger Verdacht des Epigonalen übersieht die eigentliche künstlerische Absicht, übersieht vor allem, dass das Eigene und Neue sich im Zitat wie unter einer Maske verbirgt. Und außerdem unterschätzt man dabei, wie täuschbar die eigene Erinnerung ist, auf welch wackligen Füßen Vergleiche – „das sieht ja aus wie...“ – tatsächlich oft stehen.